Unser Huhn
Kaffeefahrt zu Hölderlin
Pressebericht

 

Original-Leselampe "Justinus Kerner"

Brutaler Nepp bei so genannter "Kaffeefahrt zu Hölderlin" mit Verkaufsveranstaltung

von Hans-Joachim Lang
erschienen im Schwäbischen Tagblatt vom 27. Juni 2000

Kein vernünftiger Mensch begibt sich heutzutage noch auf Kaffeefahrt. Aber weil nun einmal die Welt von unvernünftigen Menschen übervölkert ist, überstieg am Samstagnachmittag die Nachfrage nach einer "Kaffeefahrt zu Hölderlin" bei weitem die Anzahl der im Omnibus nachher zur Verfügung stehenden Plätze. Es wird wohl an der formschönen Originaleselampe "Justinus Kerner" gelegen haben, die jeder Teilnehmer kostenlos erhalten sollte oder an dem Glas Birnenschnaps. Oder an beidem. Sollte man sich indes auf den Reigen seliger Geister gefreut haben, Denker wie Hölderlin, Hegel, Hesse und Haschmi, dann - doch der Reihe nach.

Jedenfalls standen am Samstag schlag 15 Uhr knapp 100 junge, mitteljunge und etwelche noch ältere Damen und Herren am Metallaufstieg der Eberhardsbrücke und wurden dort von einem geschäftsmäßig freundlichen Herrn begrüßt, der es irgendwie mit dem Poesie-Klima der Stadt Tübingen wichtig hatte, das künftig noch stärker für konsurmpotente Tagestouristen ausgeschöpft werden solle. Es seien sogar zwei zusätzliche Hölderlin Türme geplant, verriet er unvorsichtigerweise. Manche der Zuhörer schmunzelten, vereinzelte Proteste wurden jedoch erst laut, als sich herausstellte, dass die Karten für die Rundfahrt nicht reichten. "Das find' ich irgendwie doof', bruddelte eine Reutlinger Rechtsanwältin, die leer ausgegangen war. Die Veranstalter können von Glück sagen, dass sie diese Person auf so einfache Art losgeworden sind. Es hätte für sie womöglich zu einem folgenschweren Gerichtsverfahren kommen können.

Nun kriegte jeder der auserwählten Teilnehmer einen Fotoapparat ausgehändigt, und alle wurden danach aufgefordert, einen Friedrich Hölderlin zu beschwören, über den weiters niemand etwas erklärte. Alle sollten die Arme hoch strecken, und tatsächlich streckten alle die Arme hoch. Und sie wedelten, wie geheißen, mit den Händen und stimmten ein martialisches Geheule an. Worauf im Gebäude neben der Neckarapotheke, ganz oben links, ein Porträt wackelnd am Fenster erschien, was als großer Erfolg gefeiert wurde - Offenbar weil es für jenen Hölderlin gehalten wurde.

Nun stiegen alle in den Bus. Das heißt, erst musste man noch eine halbe Ewigkeit warten, bis der Bus erschien und man einsteigen konnte. "Es sei dies ein Bus mit Neitech-System", klärte der eine der beiden Animatoren auf, deswegen müsse sich jeder Passagier bei jeder Kurve zur Seite neigen. Dreimal musste der Bus um das Zacharias-Zinser-Dreieck kreisen, bis das einigermaßen klappte. Einer allerdings weigerte sich beharrlich, sowohl dieser Neige-Technik nachzukommen als auch sich mit Arme-Hochheben den Beschwörungsritualen der' Veranstalter zu ergeben. Ein nicht eben groß gewachsener Herr, schlank, Halbglatze über einem grimmigen Gesicht, Block und Kuli in der Hand. Dieser Mann, nicht nur dem Anschein nach ein kritischer Journalist und bereit, diesen Schwindel zu entlarven - der bin ich.

Dreimal ums Zinser-Dreieck ("Das einzige Dreieck mit vier Eckpunkten", getraute sich der Animateur im weißen Anzug zu kalauern), Bushalt schon wieder an der Neckarbrücke. Ein Eklat kündigte sich an. Ich habe mich an der folgenden Abstimmung nicht beteiligt, weil ich den Hinterhalt durchschaute. Als hätten die Halsabschneider nicht selber das größte Interesse gehabt, ihre armen Opfer zu der Verkaufsausstellung zu schleifen, ließen sie diese auch noch über die Fortsetzung der Beutelschneider-Fahrt abstimmen. Weiß man nicht spätestens durch Brecht, dass nur die größten Kälber ihre Schlächter selber wählen? Wohlweislich hatten die Herren von vornherein die Dichter-fahrt auf den Buchstaben H beschränkt. Die arglosen Buspassagiere ließen sich beim nächsten Stopp sogar dazu überreden, mit den ausgehändigten Kameras aus dem Fenster heraus Fußgänger zu fotografieren. Dabei schien niemand zu bemerken, dass es sich bei den Fotoapparaten um Attrappen der plumpesten Art handelte, schlichte Fotokopien, die mit einem Umhängebändel versehen waren.

Die über eine weite Fahrstrecke hinweg einzige Dichter-Anzeige war der Hinweis auf die Hölderlinstraße, dann, auf Höhe des Haagtor-Parkplatzes, über Bordlautsprecher die Ankündigung, man werde sich jetzt aus dem Objektiven heraus und ins Private hinein begeben. Und zwar in der Burgholzstraße. Vor deren Hausnummer 58 ein überraschender Halt und die strenge Aufforderung an das noch immer geneigte Publikum: "Bitte verlassen Sie sofort den Bus!" Also stiegen alle aus und postierten sich vor einem Mehrfamilienhaus, gegenüber sollten sie ein riesiges Bauloch in Augenschein nehmen. "Hier wird an einem neuen Roman von Peter Härtling gebaut", verkündete der weiß beanzugte Herr und behauptete, man stehe rücklings vor der Dichterbehausung des Meisters selber. Ein leises Raunen ging durch die Menge, erst recht als die Bitte geäußert wurde, gänsemarschmäßig am Klingelschild vorbeizudefilieren und dort dem geldgierigen Animator eine Mark in die Kasse zu stecken. Es wurde sogar geklingelt, aber es war niemand daheim.

Ein Guss stürzte vom Himmel, und die Literatouristen standen buchstäblich im Regen, denn der Bus war inzwischen davon gefahren - Zum Glück nur zum Wenden. "Das Dunkle hat mit Hölderlin begonnen", erwähnte der Literaturführer, zum Schein sich seiner eigentlichen Aufgabe besinnend. Tatsächlich nahm er aber nur Bezug darauf, dass man gerade den Schlossberg Tunnel durchquerte und behielt gleich das Wort, das er an sich genommen hatte, um auf die nun bevorstehende Verkaufsausstellung aufmerksam zu machen. Alle schritten erwartungsvoll in die Parkgaststätte, denn hier wollten sie ja die Original-Leselampe "Justinus Kerner" in Empfang nehmen. "Bitte kaufen Sie reichlich!", wurde man dort höchst unwürdig in Empfang genommen. Original-Neckarwasser für 10 Mark, signierte Dieter-Baumann-Zahnpasta für 7 Mark, Gelbwurst für 130 Mark, ein Vielleicht-Bierbuch für 10 Mark. Und die Leselampe? Die entpuppte sich als daumengroße Kerze. Da lachen doch die Hühner. Am meisten die vom komischen Reiseveranstalter, dem berüchtigten "Stammtisch Unser Huhn".